Fatigue bei Multipler Sklerose

Multiple Sklerose - Eine Herausforderung für die Physiotherapie

Fakten und Zahlen zu Multipler Sklerose und Fatigue

Weltweit leben 2.8 Millionen Menschen mit Multipler Sklerose. In Deutschland sind ca. 252 000, in der Schweiz ca. 15 200 und in Österreich ungefähr 13 500 Menschen davon betroffen. Diese Patientengruppen setzen sich aus etwa 69% Frauen und 31% Männern zusammen.

Die Multiple Sklerose gilt damit als die häufigste, zur Behinderung führende, neurologische Erkrankung bei jungen Menschen. Menschen, die an Multipler Sklerose leiden, haben bekanntlich diverse Symptome. Nicht ohne Grund wird die MS (übersetzt: „vielfach harte Narben“) auch als Erkrankung der „tausend Gesichter“ bezeichnet.

Symptome bei Multipler Sklerose

Die Symptome sind die Folge der autoimmunen Entzündungsvorgänge bzw. des langfristigen Abbaus der Isolierschicht der Nervenbahnen, des Myelins, und der Axone im zentralen und peripheren Nervensystem. Sie können sich unter anderem als Magen-Darmbeschwerden, Blasenstörungen, Missempfindungen an den Armen und Beinen, Spastiken, Muskelschwäche, unspezifische Schmerzen, Gleichgewichtsprobleme, Sehstörungen, kognitive Beschwerden/Einschränkungen, Gangunsicherheiten, Depressionen und viele weitere Symptome zeigen.

Laut Studien ist dabei die Fatigue mit 80% das häufigste und auch das schwächendste Symptom der Multiplen Sklerose. Für 55% der Betroffenen ist sie das störendste Symptom im Rahmen ihrer Erkrankung.

Wie zeigt sich die Fatigue bei Multipler Sklerose?

Die Fatigue beschreibt erst einmal „nur“ eine starke subjektive körperliche und mentale Erschöpfung, welche die Erkrankten regelmässig dazu zwingt, Pausen einzulegen und im schlimmsten Fall zur Arbeitsunfähigkeit führen kann.

2007 wurde die Fatigue bei Multipler Sklerose definiert als, „reversible, motorische und kognitive Beeinträchtigung mit reduzierter Motivation und erhöhtem Ruhebedürfnis, die entweder spontan auftreten oder durch geistige oder körperliche Aktivität, hohe Luftfeuchtigkeit, akute Infektionen und Nahrungsaufnahme hervorgerufen werden. Die Fatigue kann jederzeit auftreten, ist aber in der Regel nachmittags schlimmer. Bei MS kann Fatigue täglich auftreten, besteht in der Regel seit Jahren und ist schwerer als jede prämorbide Fatigue“.

Welche Symptome zeigt die Fatigue?

  • Antriebs- und Energiemangel
  • Dauerhaft vorhandenes Müdigkeitsgefühl mit Auswirkung auf die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit
  • Wärme verstärkt die Symptome der Fatigue
  • Die Fatigue zeigt sich täglich
  • Meist hält die Erschöpfung/Müdigkeit mehr als 6 Stunden am Tag an
  • Die Beschwerden verstärken sich meist zum Abend hin
  • Rückzug aus dem sozialen Umfeld

Wie wird die Fatigue unterteilt?

Es gibt eine primäre und eine sekundäre Fatigue. Bei der primären Form ist die Fatigue spezifisch für die MS, wenn keine anderen erkennbaren Ursachen vorhanden seien. Bei der sekundären Art entsteht diese als Folge anderer Beschwerden bzw. Komorbiditäten im Rahmen der Multiplen Sklerose. Die Mechanismen der sekundären Fatigue für die einzelnen anderen Symptome aufzugleisen, sprengt leider den Rahmen dieses Blogs. Schauen wir uns daher die primäre Form etwas genauer an.

Bereits bei der primären Fatigue ist die dahinterstehende Pathophysiologie hochkomplex und noch nicht ganz verstanden. Es zeigen sich bei Betroffenen einige hochinteressante und spannende Besonderheiten und Veränderungen im Labor, wie auch bei funktionellen MRT-Aufnahmen des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark).

Es werden in der Literatur periphere und zentrale Mechanismen genannt und diskutiert, die sehr wahrscheinlich die primäre Fatigue bei Multipler Sklerose beeinflussen. Anomalien im zentralen Nervensystem stehen besonders in Verdacht, die pathophysiologischen Vorgänge massgeblich mit zu beeinflussen. Besonders die Frontalregion des Gehirns zeigte in mehreren neurophysiologischen Studien eine gesteigerte Aktivität, während der Vorbereitung und Ausführung von motorischen Aktionen bei Erkrankten mit Fatigue, im Vergleich zu Betroffenen ohne Fatigue.

Erkenntnisse aus der Radiologie und dem Labor

Funktionelle FDG-PET-Scan Aufnahmen (Hallo Science-Nerds! Übersetzung: Fluordeoxyglucose-Positronen-Emissions-Tomographie: Venöse Gabe einer schwach radioaktiven Zuckerlösung, die sich an Zellen mit hoher metabolischer Aktivität anhaftet. Häufig wird sie zur Tumor- und Demenzdiagnostik bzw. in der Infektionsdiagnostik eingesetzt) geben klare Hinweise darauf, dass Fatigue als ein zentraler Punkt bei Multipler Sklerose anzuerkennen ist. Bei MS-Erkrankten mit einer primären Fatigue kommt es im Gehirn zu einer deutlichen Abnahme der Stoffwechselvorgänge im medialen und lateralen präfrontalen Kortex, des prämotorischen Kortex und des Putamen, sowie des rechten ergänzenden motorischen Bereichs.

Des Weiteren zeigen diese Spezialaufnahmen, dass Menschen mit MS und einer Fatigue schon bei einfachen motorischen Aufgaben eine geringere Aktivität der kontralateralen sensomotorischen kortikalen Bereiche und des Thalamus aufweisen. Die Forscher vermuten pathophysiologische Zusammenhänge zwischen einer Unterbrechung des kortiko-subkortikalen Kreislaufs und der Fatigue, bei gleichzeitig läsionsbedingt abnormaler Rekrutierung frontothalamischer Leitungsbahnen. Die bei einigen MS-Erkrankten bereits früh, durch MR-Spektroskopien, nachweisbaren axonalen Dysfunktionen bestätigen diese Theorie.

Weitere, der modernen Radiologie zu verdankende Erkenntnisse, beziehen sich auf die graue und weisse Masse bei an Fatigue leidenden Personen, im Vergleich zu Gesunden und „fatigue-freien“ MS-Betroffenen. Sie fanden signifikante Atrophien im Bereich des rechten Nucleus accumbens (Teil des dopaminergen Kreislaufs im präfrontalen Kortex, Amygdala und zentralem Pallidum). Dieser Teil des Gehirns ist vor allem für die Steuerung von Motivation und Belohnung verantwortlich.

Dopaminmangel steht im Verdacht, an der Entwicklung einer primären Fatigue beteiligt zu sein. Die weiteren krankheitstypischen zentralen Entzündungsprozesse, mit ihren MS-spezifischen Läsionen, in den Bereichen des Thalamus, der Basalganglien und des frontalen Kortex scheinen ursächlichen Einfluss auf die primäre zentrale Fatigue zu haben.

In Laboruntersuchungen konnten Studien nachweisen, dass Menschen mit einer MS-Fatigue deutlich höhere Werte von Interferon (IFN) Gamma und Tumornekrosefaktor Alpha aufwiesen, als Betroffene mit MS ohne Fatigue. Interleukin 6 konnte dagegen nicht als entscheidender Faktor bei der Fatigue bestätigt werden. Zwar sind die Konzentrationen, vor allem bei Rezidiven, erhöht, allerdings schwanken die Werte zu stark, als das eine belastbare Verbindung hergestellt werden kann.

Weitere hochinteressante Erkenntnisse aus den Forschungslaboren zeigen den Einfluss von oxidativem Stress auf die menschlichen Zellen. Insbesondere bei Frauen mit Fatigue zeigten sich einerseits erhöhte Homocysteinspiegel und, daraus resultierend, eine erhöhte Lipidperoxidation. Bei diesem chemischen Prozess werden freie Radikale aus Lipiden gebildet.

Wenn die Möglichkeiten des endogenen Antioxidanssystems überstiegen werden, setzt sich eine hochpathologische Kettenreaktion in Gang und die freien Fettsäureradikale schädigen die Zellmembranen. Die Folgen dieses oxidativen Stresses können zu einer Inaktivierung der Natrium-Kalium-Pumpe, welche entscheidend für die Muskulatur ist, und zu Dysfunktionen unserer Kraftwerke der Zellen, den Mitochondrien, führen.

Diese pathologischen Vorgänge können eine Erklärung für die periphere und zentrale Erschöpfung sein und des Weiteren zu Schäden im zentralen Nervensystem führen.

Einen weiteren möglichen Grund für die primäre Fatigue stellen die im Labor gefundenen niedrigen Serumspiegel von Dehydroepiandrosteron, ähnlich wie beim chronischen Müdigkeitssyndrom, in Verbindung zur anhalten Erschöpfung bei MS-Betroffenen dar. Ein letzter Unterschied fand sich in einer Fehlregulation in der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse. Es konnte in Studien gezeigt werden, dass MS-Erkrankte mit einer Fatigue signifikant höhere adrenokortikotrope Hormonspiegel, verglichen mit „fatigue-freien“ MS-Erkrankten, aufwiesen.

Wie kann Fatigue bei Multipler Sklerose bewertet werden?

Die meisten Studien verwendeten entweder die FSS (Fatigue Severity Scale) oder MFIS (Modified Fatigue Impact Scale) als Instrumente zur Fatiguebewertung. Die neun Fragen des FSS messen und vergleichen die Intensität der Fatigue mit der funktionellen Beeinträchtigung.

Das MFIS hat sich bei der Bewertung kognitiver und körperlicher Aspekte von Erschöpfung als wertvoll erwiesen, jedoch nicht bei der allgemeinen Müdigkeit. Dieser Test kann die Teilbereiche „physisch“, „kognitiv“ und „psycho-sozial“ einzeln bewerten, welche dafür aber in ihren Ergebnissen sehr stark miteinander korrelieren. Ob die Unterteilung dann noch Sinn macht, ist etwas fraglich.

Der Studienlage zufolge sind der FSS und MFIS in ihren Aussagen vergleichbar. Einzig der validierte FSMC (Fatigue Scale for Motor and Cognitive Functions) ist bei Menschen mit Multipler Sklerose empfindlicher und spezifischer als vergleichbare Assessments. Diese Skala diene der Abschätzung der Schwere der kognitiven und motorischen Auswirkungen durch MS-induzierte Fatigue und sei sehr spezifisch und sensitiv.

Bitte beachten Sie:

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Welche Therapie wird empfohlen?

Medikamente mit Vorsicht geniessen

Fangen wir mit der sekundären Form der Fatigue an. Hier ist entscheidend die fatigueauslösende bzw. -verstärkende Ursache zu behandeln. Bei Spastiken, Neuralgien oder muskuloskelettalen Beschwerden werden häufig Medikamente, wie z.B. Amantadine, Modafinil, Pemoline, verabreicht. Deren Wirksamkeit wird allerdings von einigen Studien in Frage gestellt. Zwar scheinen die Mittel besser als Placebos zu wirken, die klinische Signifikanz ist aber nicht final geklärt. Des Weiteren sind die Nebenwirkungen nicht zu unterschätzen und ähneln MS-typischen Krankheitssymptomen. Gezielte Physiotherapie dagegen kann bei den genannten Schmerzproblematiken helfen.

Beschwerden wie Depressionen, Schlafproblematiken oder andere psychische Erkrankungen, werden mit Entspannungstechniken und psychotherapeutischen Therapieformen, wie der kognitiven Verhaltenstherapie, behandelt. In Studien zeigten sich positive Effekte. Die Physiotherapie kann auch hier, wie bei den genannten Schmerzproblematiken, helfen.

Nebenwirkungen von Medikamenten können ebenfalls Einfluss auf eine sekundäre Fatigue bei MS nehmen und müssen zwingend ärztlich behandelt werden.

Effekte von körperlichem Training als Therapieform

Als therapeutische Optionen bei der primären Fatigue zeigten sich in Studien Vorteile beim Ausdauertraining, Yoga und Gleichgewichtstraining. Krafttraining und aufgabenorientiertes Training zeigten dagegen keine signifikanten Effekte. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass die Studienqualitäten maximal moderater Qualität und nicht gleichmässig repräsentiert waren.

Sie wurden in kleinen Gruppen durchgeführt und, speziell das Kraft- und ADL-Training, nur mit wenigen Studien untersucht. Andere Studien zeigten hingegen positive Ergebnisse in Bezug auf Krafttraining bei Fatigue. Aufgrund der weithin bekannten Benefits von Krafttraining bei Multipler Sklerose, sollte dieses ein fester Bestandteil des Trainingsprogramms von Betroffenen sein und langfristig auch bleiben. Bei PHYSIO Impact in Uster setzen wir in der Physiotherapie und im Training/MTT auf individualisierte, intensive Ausdauer- und Kraftprogramme bei Menschen mit Multipler Sklerose.

Drei dominierende Hypothesen, warum laut Studien Training bei einer MS-Fatigue wirken könnte sind:

  • Ausdauertraining verbessert die Energiereserven bzw. Ausdauerfähigkeit, welche im Gegenzug eventuell einen positiven Einfluss auf die Fatigue hat.
  • Bewegungstherapie kann neuroprotektive Mechanismen induzieren, die langfristige Behinderungen reduzieren.
  • Bewegungstherapie kann die Deregulierung der HPA-Achse normalisieren.

Diese Hypothesen beruhen weitgehend auf der Annahme, dass die tatsächliche Bewegungstherapie von ausreichender Dauer, Dosis und vor allem Intensität ist, um solche Veränderungen auch tatsächlich herbeizuführen.

Bewegungs- und Trainingsempfehlungen

Generelle Empfehlungen für Bewegung vom American College of Sports Medicine: Es empfiehlt Erwachsenen, an fünf oder mehr Tagen pro Woche ein Herz-Kreislauf-Training mit mittlerer Intensität für 30 Minuten zu absolvieren, insgesamt 150 Minuten oder länger pro Woche. Alternativ kann auch ein Herz-Kreislauf-Training mit kräftiger Intensität für 20 Minuten oder länger pro Tag an drei oder mehr Tagen pro Woche (75 Minuten oder länger pro Woche) oder eine Kombination aus mäßiger und kräftiger Intensität durchgeführt werden.

Drei Studien zu Krafttraining bei Multipler Sklerose, haben wie folgt trainiert

  • Über 4 Wochen zweimal pro Woche zwei Sätze mit 10-12 RM (Wiederholungsmaximum) bei drei Übungen für die untere und obere Extremität.
  • Über 8 Wochen zweimal pro Woche an fünf Geräten für die untere Extremität.
    1. Woche: Ein Satz mit 6-10 Wiederholungen bei 50% MVC (maximale freiwillige Kontraktion).
  • 2.-8. Woche: Ein Satz mit 10-15 Wiederholungen. Intensität in der zweiten Woche: 60% MVC und von der dritten bis achten Woche: 70%. Wenn 15 Wiederholungen erreicht wurden, konnte das Gewicht um 2-5% erhöht werden.
  • Über 12 Wochen zweimal die Woche an fünf Geräten für die untere Extremität.
  • 1.-2. Woche: Drei Sätze mit 10 Wiederholungen bei 15 RM.
  • 3.-4. Woche: Drei Sätze mit 12 Wiederholungen bei 12 RM.
  • 5.-6. Woche vier Sätze mit 12 Wiederholungen bei 12 RM.
  • 7.-8. Woche vier Sätze mit 10 Wiederholungen bei 10 RM.
  • 9.-10. Woche vier Sätze mit 8 Wiederholungen bei 8 RM.
  • 11.-12. Woche drei Sätze mit 8 Wiederholungen bei 8 RM.

Bitte beachten Sie beim Training folgendes

Die Trainingsbedingungen sollten auf MS-Patienten ausgerichtet sein. Der Raum sollte nicht zu warm und schon gar nicht heiss sein. Notfalls müssen Betroffene mit Kühlweste trainieren. Die passende Trinkmenge muss gewährleistet sein und die Person soll sich im Raum wohl fühlen. All diese, vielleicht banal erscheinenden Punkte, können einen signifikanten Einfluss auf den Trainingserfolg haben. Lassen Sie es nicht daran scheitern!

Wie lange hält der Trainingseffekt an?

Wenn das Training gestoppt wird, hält der erreichte Effekt leider nicht lange an. Keine der Studien mit einer Nachbeobachtungsphase, zeigten im Anschluss eine Verringerung der Ermüdung in der Trainingsgruppe, verglichen mit der Kontrollgruppe. Bestenfalls wurden die festgestellten Fatigue-Unterschiede beibehalten. Daher sollte sich bei Multipler Sklerose die Therapie hin zu einer dauerhaft den Lebensstil verändernden Intervention entwickeln.

Das heisst, Menschen mit Multipler Sklerose und Fatigue müssen ihr intensives Training langfristig beibehalten und hin zu einem aktiveren und gesünderen Lebensstil wechseln, um ihren Zustand zu stabilisieren und bestenfalls zu verbessern.

Kognitive Verhaltenstherapie, evtl. Medikamentenumstellungen und Physiotherapie bieten sich als weitere Optionen im individuellen Therapieprogramm an.

Vielen Dank für Ihr Interesse und viel Erfolg bei der Umsetzung! Bei PHYSIO Impact stehen wir Ihnen gerne für Physiotherapie & Training zur Behandlung Ihrer Multiplen Sklerose oder Fatigue an der Seestrasse 145 in Uster zur Verfügung. Bitte sprechen Sie uns an, schreiben uns eine E-Mail oder buchen Ihren Termin direkt hier.